Hineintheatern
Ganz schön mutig! „Zieher & Leeb“ wagen sich abermals auf das dünne Eis des Stegreif-Kabaretts – und erreichen dort mit ihren sympathischen Spontan-Pirouetten Bestmarken in der A-Wertung (technische Ausführung und Schwierigkeit des Programms).
kabarett.at 11/2010
Gibt’s Fragen? Mit dieser Floskel begann einst das Programm „Privat“ von Josef Hader. Um dann – zumeist ungefragt – seinen legendären Monolog zu halten. Auch „Zieher & Leeb“ eröffnen den Abend mit dieser Frage. Aber sie meinen sie ernst. Kurzerhand ernennen sie einen Besucher zum Schriftführer und betrauen ihn mit der Aufgabe, alle Fragen, die das Publikum so hat, für sie aufzuschreiben. Keine billigen Wissensfragen, sondern eher philosophische Problemstellungen. Zum Beispiel : Warum immer ich ? Oder : Gibt es im Jenseits ein Abseits ? Oder ganz konkret : Warum lern ich auf der Uni immer nur Menschen kennen, die Kati heißen ?
Also Fragen, die die Welt und unser Innerstes bewegen. Vor allem aber Fragen, zu denen die beiden Kabarettistinnen unmöglich etwas einstudiert haben können. Sie dienen ihnen aber als inhaltliche Wegweiser durch den Abend und als Bausteine für ihr improvisiertes Programm-Gerüst, das dann ohne jedwede statische oder strategische Planung Stück für Stück, Szene für Szene vor den Augen der Zuschauer entsteht. Stellenweise ehrfurchtgebietend trittsicher, fest gefügt und wie aus einem Guss. Andernorts schräg und schwankend. Fast schon ab- und einsturzgefährdet. Dann sicherheitshalber wieder simpel und fast schon konventionell. Aber nie peinlich.
Es sind kurze Spielszenen, Lieder und Conferencen, die „Zieher & Leeb“ am laufenden Band aus dem Nichts entwickeln. Manche leben humoristisch von merkwürdigen Charakteren, andere von skurriler Situationskomik, wieder andere vom spontanen Sprachwitz oder purem Nonsens. Manche laufen aber auch forsch ins Leere. Schlusspointen ? Geh, wozu denn ? Im Leben spielt’s auch keine Schlusspointen. Jede Szene ist einfach irgendwann vorbei. Und erst dann wissen die Betreiber und Betrachter, ob sie aufgegangen ist. Aber egal. Denn da haben sie sich schon längst wieder in die nächste hineintheatert.
Das Spannende daran ist, dass man als Zuschauer nur sehr selten den Hauch einer Ahnung hat, worauf „Zieher & Leeb“ in den nächsten Minuten hinaus wollen. Wie auch ? Sie wissen es ja selbst zumeist noch nicht. Aber sie sind natürlich bestens impro-theater-geschult – und vor allem so hervorragend aufeinander eingespielt, dass ihnen ein Blick oder ein Stichwort genügt, um unauffällig miteinander zu kommunizieren. Um sich zumindest ansatzweise darauf zu verständigen, was als nächstes auf der Bühne passieren … könnte.
In diesem überraschungsreichen Konjunktiv – in der Unvorhersehbarkeit des einmaligen Live-Erlebnisses – liegt der große Unterhaltungswert von „Wer weiß was ?“. Und natürlich auch darin, dass spontan ersponnene Späße fast immer publikumswirksamer sind, als geschriebene und auswendig gelernte Gags. Faktoren, die das bei einer Impro-Show systemimmanente Risiko inhaltlicher Schwächen locker ausbügeln. Eine mutige Gratwanderung bleibt ein derartiges kabarettistisches Extempore allemal. Eine, die „Zieher & Leeb“ mit einem Höchstmaß an sympathischem Spielwitz, künstlerischer Courage und kreativer Geistesgegenwart meistern. Alle Achtung !
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