Sachsen-Faxen: Gehaltvoll und erfrischend, weil naturtrüb und gespritzt
Spiel und Spaß und Roggenbrötchen – von und mit Ines Fleiwa und Cordula Zwischenfisch: “Weißt du, warum die noch nicht tanzen? Die staunen noch!”
kabarett.at 07/2006
Aber nun zu etwas ganz anderem. Möge die Unsitte, einen Pressesprecher vor Veranstaltungsbeginn auf die Bühne zu schicken, um wortreich allerlei selbstgefällige Überflüssigkeiten abzusondern, ganz rasch wieder dorthin verschwinden, wo sie offenbar unerlässlich ist. Zu Kino-Premieren, Gala-Events und dergleichen mehr, wo allerlei Sponsoren unbedingt vorab genannt werden wollen. Übrigens ungeachtet der Tatsache, dass es kaum einen unsympathischer besetzten – also höchst kontraproduktiven – Zeitpunkt für Image-Werbung gibt. Aber zurück zum konkreten Fall. Wozu, bitte, braucht die Kleinkunst einführende Worte? Sicher nicht für eine lobhudelnde Vorab-Kritik der zu erwartenden Darbietung, Herr Pressesprecher Hübl. Das Publikum freut sich nämlich schon darauf, sich gleich selbst ein Bild machen zu können. Dazu hat es sich nämlich trotz 30 °C und Spanien vs. Frankreich im “Theater am Spittelberg” eingefunden.
Weiters: Die geladene Presse lässt sich bei Bedarf in der Pause persönlich begrüßen. Und ob die verantwortliche Agentur die heimische Kabarett-Szene – wie gleich mehrfach betont – mit ihrem Engagement wirklich “kräftig aufmischt”, ist a) dem Durchschnittszuschauer wurscht, kann b) der professionelle Beobachter ggf. selbst entscheiden – und hat c) in seiner stinkigen Eigenlöblichkeit in einer Einmoderation für ein Künstler-Duo schon gar nichts verloren.
Hätten wir das. Nichts für ungut, daher hier noch ein konstruktiver Tipp: Mit einer weiteren eigentümlichen Perücke und ein wenig Sprchfärbungs-Training könnte Christoph Walther, die schlagzeugende Hälfte des Duos “Zärtlichkeiten mit Freunden”, die Rolle des zeitverzögernden Schönredners hinkünftig selbst übernehmen. Das hätte dann schon wieder etwas ungemein Ironisch-träschiges. Vielleicht gelingt es ihm ja so überzeugend, wie 1990 dem damals hierzulande noch weitgehend unbekannten Georg Schramm (nicht zu verwechseln mit Stefan Schramm, der zweiten Hälfte von “Zärtlichkeiten mit Freunden”) bei der Verleihung des “Salzburger Stiers”. Mit seiner Verkörperung eines schleimigen Kultur-Managers, der “nur rasch ein paar Worte sagen möchte, bevors losgeht”, führte er damals sogar Kabarett-Kollegen im Publikum heftig aufs Glatteis. Aber das ist eine andere, hinreißende Geschichte. Fragen Sie Leo Lukas danach, wenn Sie ihn treffen.
“Die haben ja nichts hier. Nur noch Hoffnung.”
Und nun endlich zum Werk selbst. Die beiden sächsischen Twens mit dem eigentümlichen Duo-Namen sind in der Mission unterwegs, “ein Lächeln auf die gegerbten Gesichter der tapferen Bewohner dieser strukturschwachen Region zu zaubern”. Und das gelingt ihnen mit “Mitten ins Herts” ein ums andere Mal. Ihr bereits mit allerlei Kleinkunst-Nachwuchspreisen bedachtes Programm lässt sich formal ansatzweise als eine von diversen Differenzen geprägte Probe vor Publikum beschreiben: eine auf weniger als das Mindeste reduzierte Party-Combo übt für mögliche Auftritte an unmöglichen Orten.
“Wir haben weder Kosten noch Mühen gehabt …”
In seinen bisweilen surrealsatirischen Zwischenmoderationen – “Wir spielen jetzt einen langsamen Walzer von Henry Maske” – verlegt der mit dem Künstlernamen Cordula Zwischenfisch gesegnete Walther den Anlass des schrägen Geschehens ansatzlos von einem CB-Funker-Treffen zu einem Polterabend oder zum Kulturfest des Ernst-Vettori-Gymnasiums. “Man kann sich nicht aussuchen, wo man spielt.” Hauptsache, jede noch so bedeutungsscheinschwangere Moderation endet mit der Liedermacher-Plattitüde “… und vielleicht denken sie einmal drüber nach”.
Anfänger & Draufhänger
Musikalisch reicht die Palette von “Bamboleo” bis “Smoke on the Water”. Die meisten Songs werden aber nur kurz angespielt. Einzig für David Hasselhoff machen sie eine schmerzhafte Ausnahme. Wie vorsätzlich fahrlässig fuhrwerkend sie mit den Hits umgehen, wird schon in dem regelmäßig wiederkehrenden Einleitungssatz deutlich : “Ich fang an, du hängst dich mit drauf. Bis dann.” Ausgerechnet „bis dann“! Unverblümter lässt es sich wohl nicht ausdrücken, dass sie nicht miteinander, sondern aneinander vorbei zu spielen gedenken – und hoffen, sich beim Schlussakkord wieder zu treffen. Die absichtliche Arhythmik ist stellenweise atemberaubend. “Weißt du, warum die noch nicht tanzen? Die staunen noch!”
Sex & Drugs & Roggenbrötchen
Cordula Zwischenfisch liefert außerdem das motivationsloseste Schlagzeug-Solo in der Geschichte des Getrommels – und hält die von ihm “Knüttel” genannten Trommelstöcke gelegentlich mit abgespreiztem kleinen Finger. Ein großer Freund affektierter Posen. Unter anderem, wenn er den gealterten Las-Vegas-Zauberer Fred Astor oder die an einen sächsischen Olaf Schubert gemahnende Figur des vor keiner Peinlichkeit gefeiten Nachwuchstrommlers Rico Rohs verkörpert. “Roll” sei Englisch, konstatiert dieser, und heiße daher auf Deutsch Brötchen. Folgerichtig ist für ihn als multilingualen Sachsen der “Rock’n’Roll” ein Roggenbrötchen.
Schlagzeug-Slapstick
Weiters ist Christoph Walther, alias Cordula Zwischenfisch, für die an dieser Stelle anlässlich des Kabarett-Kaktus-Kurzauftritts bereits als eine der schrägsten Späße der Stadt kategorisierte, hinreißende Slapstick-Einlage zuständig, bei der er mit dem Rücken zum Schlagzeug und einer Gummi-Maske am Hinterkopf sein Instrument bedient. Eine irrwitzige Illusion. “So visuelle Sachen kommen immer gut an bei den einfachen Leuten”.
Vergleichsweise unspektakulär ist das Aufgabengebiet seines Partners Stefan Schramm, der sich mit seiner stränig-blonden Perücke Ines Fleiwa nennt. Er ist für die E-Gitarre zuständig und muss als Stichwortgeber, Counterpart und Pausenfüller herhalten : “Wir singen jetzt gemeinsam das bekannte Umbau-Lied ‚Umbau ja, my Lord‘.”
Naturtrüb, aufgespritzt
Fazit: Von der Vorgruppe bis zum finalen Kreissägenmassaker bietet “Zärtlichkeiten mit Freunden” eine rechtschaffen durchgeknallte Show, die zwar nicht in all ihren Einzelteilen innovativ, aber in ihrer Gesamtheit ein höchst origineller Spaß ist. Und gehaltvoll und erfrischend, weil naturtrüb und gespritzt. Ihre immer wieder überraschenden Scham- und Bodenlosigkeiten sind nämlich ganz offensichtlich nicht aus Kalkül oder Effekthascherei entstanden, sondern aus purer, ehrlicher Lust an Nonsens und Träsch. Danke für die Unterhaltung!
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