Schön seid ihr da!
Von Thunfisch-Trophäen, Kleinkunst-Kaleidoskopen und Folterinstrumenten
kabarett.at 04/2008
Thun also. Von Zürich aus so circa 1,5 Stunden mit dem Zug. Kurz hinter Bern. Da kauft man sich dann als bekennender Unbeleckter extra einen Reiseführer – und sucht darin vergeblich nach Thun. Gibt’s das ? Marco Polo ist das malerische Örtchen an der blitzgrünen Aare nicht einmal eine einsilbige Erwähnung wert. Dabei hat Thun doch für den durchschnittlichen, also bezüglich der schweizer Geographie zugegebenermaßen etwas lockerer im Sattel sitzenden, österreichischen Kleinkunst-Journalisten einen ähnlichen Ruf, wie beispielsweise Attnang-Puchheim für Bahnreisende. Oder Olten. Das Attnang-Puchheim der Schweizer Bahn. Wo es übrigens im Gegensatz zu Attnang-Puchheim nebst 568 Gleiskörpern jedes Frühjahr auch ein gewissenhaft besetztes Kleinkunstfestival gibt. Und damit zurück zum Thema. Denn in Thun gab es vergangene Woche bereits zum 49. Mal die „Schweizer Künstlerbörse“. Untertitel : „Das internationale KleinKunstKaleidoskop“.
Die Schweizer Kleinkunstpreise
Wobei sich das mit der Internationalität in Thun schon ganz zwanglos allein dadurch ergibt, dass der Ort in der Nähe des Röstigrabens liegt – also des Weißwurst-Äquators zwischen der Deutsch- Schweiz und der Romandie. Und die italienische Schweiz ist auch nicht weit. Als vierte Sprache kommt dann noch das eigentümliche Bern-Deutsch dazu. Eine schöne Herausforderung für den Conferencier der Eröffnungsgala : Marco Fritsche gelang es, mit seinem charmant-flapsigen Stil für einen wohltuenden Kontrast zu dem berührenden, aber nie salbungsvollen Tenor der Veranstaltungen zu sorgen. Immerhin wurden hier die Schweizer Kleinkunstpreise verliehen – die „Goldenen Thunfisch-Trophäen“. Und das an Künstler, die durchwegs eher dem poetisch verspielten Sektor der Kleinkunst zuzuordnen sind : an den auch hierzulande dank halbwegs regelmäßiger Gastspiele bekannten Pantomimen und Satiriker Massimo Rocchi und an den Schauspieler und Regisseur Daniele Finzi Pasca. Eine Art André Heller der Schweiz, der mit seinem bescheidenen Auftreten allerdings auf beeindruckende Weise demonstriert, dass man auch als Verantwortlicher faszinierender, artistisch-theatralischer Massenspektakel frei von Eitelkeiten und Arroganz auf sympathische Weise am Boden bleiben kann.
Der Ehrenpreis ging heuer an den Clown-Altmeister Dimitri, dessen stilprägendes Werk – wie es in der offiziellen Laudatio heißt – „gezeichnet ist von einer Fantasie, wie sie nur Kindern eigen sein kann“.
Eine stimmungsvoll gelungene, festliche Börsen-Ouverture, von der sich so manche – wenn nicht alle – Kleinkunstpreisverleihungen im deutschsprachigen Raum ein paar dicke Scheiben abschneiden könnten. Voller gelungener Überraschungen, aufwändiger Zuspielungen, liebevoller Details – und vor allem mit Laudatoren, die mit ihren Formulierungen zum Teil selbst Kleinkunstpreise gewinnen könnten. Die beste hielt ausgerechnet ein Politiker. Auch das will etwas heißen.
Die Börse
Einzigartig dann auch die Vielfalt des an den folgenden drei Tagen gebotenen Börse-Programms : An 9 Spielorten präsentierten über 300 KünstlerInnen aus der Schweiz, Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Russland, Spanien, der USA und der Ukraine während insgesamt 56 Stunden reiner Spielzeit Aktuelles und Interessantes aus der Kleinkunstszene. Und dazu zählen bei der Thuner Börse neben Kinder- und Puppentheater, literarischen Text-Performances und acapella-Konzerten auch Clownerie und Artistik, Chanson und Musikkabarett, klassisches Sprechtheater und allerlei andere spektakuläre oder ganz spezielle, teils ganz stille Darbietungen. Und dazu natürlich jede Menge Kabarett und Comedy.
Trotz dieser bemerkenswerten Bandbreite gab es im zentralen Aufführungsort – dem Schadausaal – nie ein Kommen und Gehen. Die Besucher brachten jedem Künstler die gebührende Wertschätzung entgegen. Eigentlich nicht weiter erwähnenswert, sollte man meinen. Bei einer Messe aber schon. Bei der Freiburger Börse geht es da nämlich ganz anders zu. Da verlässt das zum überwiegenden Teil aus Veranstaltern und Journalisten bestehende Publikum auch schon mal scharenweise den Saal, wenn ein Programmpunkt nicht den Erwartungen gerecht wird.
Überhaupt verbreitet die Thuner Börse viel weniger das Flair einer Messe, bei der es um den Ein- und Verkauf von Kunst und Künstlern geht, als jenes eines gemütlichen, mehrtägigen Picknicks im Grünen. Und das mit vielen Freunden und einem abwechslungsreichen Unterhaltungsprogramm. Okay, vielleicht etwas übertrieben, aber tendenziell und vergleichsweise stimmt’s.
Die KünstlerInnen
Bei über 100 verschiedenen, zum Teil zeitgleich angesetzten Programmpunkten kann eine Auflistung besonders bemerkenswerter Darbietungen natürlich nur subjektiv und unvollständig sein. In paar Namen gilt es aber unbedingt hervorzuheben – in der Hoffnung, dass ihre Träger früher oder später auch auf heimischen Kleinkunstbühnen zu erleben sein werden.
„Es gab einen Mann, bei dem war alles, was er tat, sofort ein halbes Jahr her …“ So oder ganz anders beginnen die absonderlichen Alltags-Geschichten, die der Autor und Darsteller Jens Nielsen erzählt. Er pflegt darin einen völlig eigenständigen und daher unvergleichlichen Umgang mit der Sprache. Und er entlockt ihr ungeahnte Ausdrucksmöglichkeiten. Eine Pause , eine Lücke oder ein unvollendeter Satz sagen bei ihm oft mehr, als andere mit tausend Worten. Dabei sind es oft ganz einfache Geschichten, die er mit seinen amüsanten gedanklichen und sprachlichen Kapriolen verwebt. Ebenensprünge, Ausstiege, surreale Abwege – alles ist möglich. Und verschmilzt bei Nielsen zu erstaunlichen Perlen und absurd anmutenden Kleinoden aus dem Kuriositätenkabinett der Literatur.
Nielsen war nicht nur mit seiner Solo-Text-Performance „Alles wird, wie niemand will“ an der Börse, gezeigt wurde auch sein Drama „Endidyll“. Im 4-köpfigen Ensemble dieser hinreißenden Kleinfamilien-Groteske brilliert unter anderem auch die Schauspielerin, Autorin, Sängerin und Kabarettistin Uta Köbernick, die zuvor bereits mit Ausschnitten aus ihrem Soloprogramm „Sonnenscheinwelt“ das Börsen-Publikum begeistern konnte. Immerhin eine Künstlerin, die bereits Österreich-Termine vorweisen kann: am 10. Juni im „Theater am Spittelberg“ (im Doppel mit der Berliner Liedermacherin Dota „Kleingeldprinzessin“) und am 1. November solo im „Kabarett Niedermair“.
Ein erstaunliches Erlebnis bot der Schauspieler Jaap Achterberg. Denn inmitten des bunten Reigens schlug er ernste Töne an: Jurek Beckers „Jakob der Lügner“. Aber nicht etwa als szenische Lesung, sondern als „Erzähltheater“. Der Unterschied ist ein nicht zu unterschätzender. Achterberg hält sich zwar wortgetreu an den Roman, spielt und interpretiert den Text aber mit einer Eindringlichkeit, die unweigerlich in ihren Bann zieht. Selten erst war hochkonzentrierte Aufmerksamkeit so mühelos.
In manchen Fällen wünscht man sich natürlich, etwas mehr von der Schweiz zu verstehen. Und das nicht nur sprachlich. Beispielsweise bei dem Vocal-Comedian oder Solo-acapella-Entertainer Martin O. Denn das, was sich von seiner Performance auch vorbildungsfreien Besuchern erschloss, war dermaßen witzig und präzis, dass das Bedürfnis groß war, jeden Publikumslacher nachvollziehen zu können. So gab es denn für ungelernte Ohren hocklassige acapella-comedy mit lokalkoloritisch wertvollen Beilagen.
Spitz gefedert und scharf gesinnt : Dass Andreas Thiel zu den geschliffensten Kabarettisten der Schweiz zählt, darf in Kennerkreisen als bekannt vorausgesetzt werden. Ein eidgenössischer Thomas Maurer. Aus seinem aktuellen Programm mit dem schlichten Titel „Politsatire“ konnte er in seiner Funktion als Messe-Moderator zwar immer nur kleine Häppchen einfließen lassen – aber genug, um große Lust auf mehr zu machen.
Nicht unerwähnt bleiben darf das clowneske Duo „Jesko & Guennadi“, dem das Kunststück gelang, der altbekannten Clown-Rollenverteilung (eitel-ernst vs. anarchisch-patschert) etliche neue, unerwartete, selbstironische und aberwitzige Facetten zu verleihen. Äußerst spaßig, die Zwei !
Und dann war da noch die „Compagnia Tiziana Arnaboldi“, die mit „Auf Wiedersehen, Herr Professor“ ein sehr intelligentes, irrwitzig verspieltes Stück aus dem Grenzgebiet zwischen Wissenschaft und Wahnsinn präsentierten. Anders gesagt – ohne damit mehr zu verraten : eine lehrreiche Burleske mit erhöhtem Körpereinsatz. Ein Pflichttermin, sollten die beiden Herren mal in der Nähe gastieren.
Auch lustig : In der geradezu märchenhaft malerischen kleinen Burg von Thun gibt es derzeit zwei voneinander nur sehr unscharf abgegrenzte Ausstellungen – über antikes Kinderspielzeug und mittelalterliche Folterinstrumente. Die haben echt Humor in Thun.
- Kontakt : www.ktv.at
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