Den Anker fest in der Hand
Der Standard 01/1995
Sysiphus schob seinen Stein. Manfred Süßfuß hingegen schleppt einen massiven Kleiderkasten: „Nur noch 100 Meter bis zum Gipfel. Das schaffen wir heute locker!“ Er ist ein unerschütterlicher Optimist. Muss er auch sein, bei dem, was er bisher alles relativ unbeschadet überlebt hat: Zerplatzte Träume, ruinierte Karrieren, zerstörte Beziehungen etc. Ein ums andere Mal ist ihm sein Felsen wieder den Berg hinuntergerollt. Das einzige, was ihm geblieben ist – die einzige Konstante in seinem Leben – ist sein dreiteiliger Schrank, in den er sich folgerichtig mehr und mehr zurückzieht. Hier ist er Mensch, hier kann er sein. Hier hegt er seine Hoffnungen und nährt seine Zuversicht, dass es beim nächsten Mal viel besser werden wird. Doch die Aufstiege sind sagenhaft beschwerlich. Zuerst der bürokratische Dschungel, um eine für seinen Kasten gültige Alpentauglichkeits-Bescheinigung und eine Aufstell-Bewilligung zu erhalten – die sich später beide als nicht EU-konform herausstellen. Dann die emotionalen Wechselbäder beim Durchstöbern seiner Beziehungslade, um Platz für die verheißene Neue zu schaffen, und schließlich die simple Befriedigung diverser Grundbedürfnisse, die sich im Hochgebirge zu recht komplizierten Aufgaben auswachsen. Abwärts geht es dafür dann wieder umso schneller. Ein ehernes Gesetz, dem auch die Dramaturgie des Stückes gnadenlos folgt: Das Ende kommt plötzlicher und unbarmherziger als erwartet.
Andreas Moldaschl verleiht der Figur des „Sysiphus Austriacus“ neben der clownesken Leichtigkeit andeutungsweise jene schwerwiegende Portion tragischer Lebensuntüchtigkeit, die erfolgreich verhindert, dass er sich wenigstens einmal in Höhen aufschwingt, von denen aus Relevanzen deutlich werden könnten. Ein ums andere Mal hält er den Anker fest umklammert, der ihn hinunterzieht. Lieber wieder in die altbekannte Tiefe, als haltlos ins Weiß-nicht-was zu treiben, oder – schlimmer noch – selbst die Richtung vorgeben zu müssen.
„Sysiphus Austriacus“ ist eine gelungene tragikomische Groteske, in der Moldaschl alle Register seines komischen Talents zu ziehen vermag. Besondere Anerkennung verdient auch der Konstrukteur des einzigartigen Wohn-Kastens (Klaus Pieber), dessen platzsparende Raffinesse Wohnungsplaner auf zukunftsweisende Gedanken bringen könnte.
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