Frischer Wind
Der Standard 09/1994
Darauf hat Europa nur gewartet: Österreich, seine Burenwurst – und das alljährlich neue Programm im Simpl. Wie schon im letztjährigen Simpl-Debütprogramm von Michael Niavarani und seinem Team, findet das Publikum auch heuer, was es sucht: Rasantes Plüschsessel-Kabarett (im Gegensatz zum üblicherweise harten Gestühl progressiver Kleinkunst-Lokale) mit unzähligen effektvollen Soll-Lach-Stellen. Dass dabei die antiquierte Simpl-Säule der kabarettistischen Tanz- und Trara-Revue – aufgrund radikaler Streichungen im Programmablauf in den letzten Tagen vor der Premiere – mehr zufällig als beabsichtigt zugunsten eines musikalischen Nummernkabaretts zu Grabe getragen wird, ist weit weniger störend, als die Erkenntnis, dass es nach wie vor dem einen oder anderen unwürdigen Sketch oder unpassenden Gag gelingt, sich zu Premieren-Ehren durchzuschwindeln. Diese Säule harrt noch ihres Sturzes. Wer braucht einen künstlichen Rülpser als Schlußpointe einer absolut klangreinen, dreistimmigen Weise? Hat doch die hinreißende Sigrid Hauser endlich zwei Organe an ihrer Seite (Schlomit Butbul, Brigitte Soucek), die ihrer Stimme und ihrem komödiantischen Talent gewachsen sind. Nicht zufällig gedeiht ihre operettenhafte Darstellung der Garderobenfrau einer Mittelklasse-Kammersängerin zum umjubeltsten Auftritt des Abends.
In das bewährte Stamm-Ensemble – Impresario Michael Niavarani, Selfman Andreas Steppan und Michael A. Mohapp – fügt sich Markus Mitterhuber weit besser ein, als Thomas Wachauer, der vor allem darunter zu leiden hat, dass er die textlich und inhaltlich mangelhaftesten Rollen – kein Wunder: Reinhard Fendrich und Heinz Prüller – zu verkörpern hat. Vermochte im Vorjahr Viktor Gernot – Mädchen-Musical-Schwarm aus „Elisabeth“ – eine ganz neue Zuschauer-Schicht in den Simpl zu locken, bleibt abzuwarten, ob mit dem Erbstück aus der „Lieben Familie“ die Publikums-Verjüngung fortgesetzt werden kann.
Die Simpl’sche „Burenwust“ besteht aber – neben den obligatorischen Flaxen – aus komödiantisch-kulinarischem Fein-Fleisch: der fadisierte U-Bahn-Überwacher trägt ebenso wie der Bankberater, der seinen Kunden lustvoll in den Ruin treibt, zum geschmackvollen Gesamteindruck bei. Der frische Wind, der vergangene Saison begonnen hat, die jahrzehntealte Staubschicht zu verblasen, ist zwar nicht mehr ganz so stürmisch, aber nach wie vor belebend böig.
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