Auf Teufel komm raus
Martin Puntigam: „Eine Frau muss sein wie gutes Klopapier: saugstark und reißfest.“
kabarett.at 10/2006
„Sag, Pini, was wärst du lieber: eine schwer sehbehinderte aber ganz liebe Kuh – oder ein böser Fuchs? Ein böser Fuchs? Wirklich? Ich auch.“ Zu diesem sehr frühen Zeitpunkt des Programms, hätte es einem schon schwanen können: der Held in „Luziprack“ ist kein durch und durch Guter. Aber man will ja nicht immer gleich das Schlimmste vermuten. Er wirkt ja durchaus wie ein liebevoller Kleinfamilienvater, wenn er mit seiner Tochter am Telefon das „Was-wärst-du-lieber”-Spiel spielt. Und dass er seine beiden Kinder einerseits nach der Mutter Neros – Agrippina, genannt „Pini“ – andererseits nach dem Verantwortlichen für eine der verheerendsten Niederlagen der Römer – Varus, genannt „die faule Sau“ – benannt hat, mag seinem etwas gewöhnungsbedürftigen Sinn für Humor entspringen. Ihm verdanken wir ja auch Sätze wie: „Eine Frau muss sein, wie gutes Klopapier: saugstark und reißfest.“
Er ist ein nobel betuchter, biederer Lebens- und Berufsunfähigkeits-Versicherungs-Vertreter, der seine Karenz dazu nutzen möchte, endlich seine Dissertation in Wirtschaftsethnologie zu schreiben – und zu einer Entscheidung bezüglich des zukünftigen Wohnorts zu gelangen. Sein Vater hat ihm nämlich eine hübsche Summe geboten, wenn er mit seiner Familie zurück aufs Land übersiedelt – in jenes Elternhaus, in dem er keine besonders erquickliche Kindheit und Jugend verbracht hat. Doch wer würde ihm heute noch Vorwürfe machen wollen, dass er damals mit seiner Zeit nichts besseres anzufangen wusste, als mit Alkohol und KO-Tropfen zu experimentieren, allerlei böse Streiche auszuhecken, sein Survival-Messer zu pflegen – „für den Fall, dass es irgendwo was zum überleben gabert“ – und mehrheitlich seinen Vater betreffenden Gewaltfantasien nachzuhängen. Alles gewiss nur pubertäre Bubendummheiten.
Sein Tagebuch, das er im Sperrmüll seines Vaters findet, erinnert ihn auch an seinen seinerzeit geliebten und viel zu früh verstorbenen Hamster „Lemmy“. Er denkt noch immer an ihn – aber nur beim Sex, um den Höhepunkt heraus zu zögern. Da hätten dann beide etwas davon: „Ich kann länger – und Lemmy lebt in Gedanken weiter.“
Achtung! Spoiler! Wer das Programm live sehen will – herzlichen Glückwunsch zu dieser Entscheidung, denn es ist das bislang beste Kabarettprogramm des Jahres. Aber dann vielleicht jetzt nicht mehr weiter lesen …
Es wäre kein Puntigam-Programm, würden sich nicht hinter dieser weitgehend harmlosen, unspektakulären Fassade in der zweiten Hälfte plötzlich zunehmend unfassbare Abgründe auftun. Im Gegensatz zu den Hauptfiguren in seinen vorangegangenen Soli entpuppt sich der Held diesmal nicht als Opfer kurioser Umstände, sondern als Täter. Nur ein kleiner Schritt. Denn jeder Täter war einst Opfer. Aber nicht jedes Opfer wird zum Täter. Angetrieben von seinen beiden mächtigsten Motoren – Angst und Gier – setzt er sein Motto rücksichtslos in die Tat um: „Was man nicht integrieren kann, muss man vernichten!” Und damit noch nicht genug. Den Schlusspunkt setzt die Vererbungslehre der Gewalt – und die große Sorge, was wohl aus Varus werden könnte. Und ob Agrippina dereinst wieder einen Nero gebären wird.
Dicht durchsetzt mit den für Puntigam so typischen, atemberaubend amüsanten Pointen, zeichnet „Luziprack“ einen unheilvollen Lebensweg nach. Einer, der genau dort endet, wo unsere größten Ängste zuhause sind: bei unseren unauffälligen Nachbarn, von denen sich im Nachhinein niemand im Bekanntenkreis erklären kann, dass ausgerechnet er heimlich Leichen im Hobbykeller hatte. Nicht erst seit Priklopil und dem „bösen Fuchs“ namens Franz Spitzenreiter in der heimischen Hitparade des Alltags-Horrors. „Luziprack“ konfrontiert uns auf effektvolle Weise mit diesem Grauen. Ein ganz tiefer, nachhaltiger Blick in das Böse. Und auf die schwärzesten Flecken jener Liste der Grausamkeiten, zu denen der Mensch fähig ist.
Ganz abgesehen davon ist „Luziprack“ ein Stück wie aus einem Guss: schamlos, originell und intelligent. Wobei Puntigams bisweilen explizite Inhalte im Verhältnis zu der zunehmend verrohten Umwelt, aus der er sie schöpft, nicht mehr halb so schockierend wirken, wie noch vor einigen Jahren. Vielleicht ist ja jetzt bitte endlich mal Schluss mit dem Blödsinn, dass seine Programme nicht mehrheitsfähig seien!
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