Blutrache im Schuhgeschäft
Der Standard 12/1995
Liebe, Zwietracht, Geiselnahme, Mord, Ausbeutung und Rache. Als Kulisse für seine Abfolge dramatischster Konflikte genügt Martin Puntigam in seinem Dramatiker-Debüt ein heruntergekommenes Schuhgeschäft. „Tod im Hallenturnschuhlager“ (Regie: Ronald Seboth) nennt er seine Action-Groteske, in der ein Hallenturnschuhfanatischer Schuhverkäufer (überzeugend cholerisch-armselig: Schlabarettist Reinhard Nowak), ein verwaister Lehrling (überzeugend wütend-hilflos: Stephan Puntigam – des Autors Bruder) und dessen ehemalige Volksschullehrerin (überzeugend altjungfern: Maria Hofstätter) miteinander abrechnen. Jahrelang aufgestaute Emotionen entladen sich explosionsartig in ihrer ganzen abstrusen Pracht und Herrlichkeit.
Hinzu kommt der ungewohnte sprachliche Stil des Martin Puntigam, der auf zwei Eigentümlichkeiten basiert: seinem Bestreben, alles, was sich locker auch in einer Hauptsatzreihe ausdrücken ließe, in eine einzige grammatikalische Konstruktion zu verpacken – was rein akustisch nachzuvollziehen bisweilen masochistische Wonneschauer zu erzeugen vermag – und seinem hingebungsvollen Hang zu derartig gestelzten Phrasen, dass ihnen in zwischenmenschlichen Dialogen jede Existenzberechtigung fehlt: Sprüche aus der Tourismusbranche („beliebte Ausflugsziele im Nahgebiet“) oder andere nicht dem Sprechtheater verpflichteten Institutionen, wie dem Statistischen Zentralamt („unbeteiligte Personen werden oft zufällig in Kriminalfälle verwickelt“) oder Clint Eastwood („ich zähle bis drei, dann bist du ein toter Mann. Und du eine tote Frau!“).
Abgerundet wird dieses nur einige Wanderschuh-Längen in der ersten Hälfte aufweisende, hoffnungsfroh stimmende satirische Stück ansatzweise absurden Theaters, über die Sinnhaftigkeit dessen inhaltlicher Interpretation – Vereinsamung, Hallenturnschuh als Wertanlage – gestritten werden kann, mit dem typisch Puntigam’schen Humor, der seine Pointen mit Vorliebe aus Banalitäten rekrutiert und auch vor Derbheiten nicht halt macht – wie z.B. einem Sterbenden „Grüße an die Eltern“ mitzuschicken.
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