„Die Lächerlichkeit liegt im Detail“
Der Standard 12/1994
Während der breite Strom der Unterhaltung ruhig und unbeirrbar dem Meer der Belustigung entgegenfließt, ein komödiantisches Biotop nach dem anderen gnadenlos entwässert, keine eigenständigen humoristischen Tümpel in seinem Einzugsgebiet duldet und sich höchstens vereinzelt zu bemerkenswerten Strudeln oder relevanten Seitenarmen aufrafft, nur um schlussendlich reich und satt auf Nimmerwiedersehen in den ewigen Lachgründen zu versinken, steht einer am Ufer, sammelt angeschwemmte Kiesel, abfälliges Treibgut und andere Relikte des mainstreams in seinen Lachsack und wandert frohgemut stromaufwärts. Was kümmert es ihn, dass das Publikum lieber bergab geht, dass Kritiker ihm die Verbreitung des „nichtssagenden Nichts“ unterstellen, dass sich zahlreiche Veranstalter dank ihres kategorischen Boykotts zum Hüter der Moral und anderer humoristicher Werte befördert fühlen, und dass er selbst bis dato kaum den Bekanntheitsgrad eines Faustballnationalspielers erreicht hat. Martin Puntigam hat sich schon längst von seinem jugendlichen Irrglauben gelöst, dass ein hart arbeitender Kabarettist unweigerlich berühmt werden muss. Obwohl es für den 25-jährigen Grazer anfänglich durchaus den Anschein hatte: Nach der Rolle des Schustergesellen Knieriem in einer Nestroy-Aufführung seiner Schule folgte der Auftrag zur Gestaltung eines „Kulturabends“, der Abbruch seines Medizinstudiums und der Gewinn des Grazer Kleinkunstvogels ’89. Schon bald darauf war Puntigam in der „Szene“ ein heiß gehandelter Geheimtipp – und das ist er bis heute geblieben. „Ich hab‘ mich immer bemüht, die Dinge zu machen, die sonst keiner macht. Das erschien mir erfolgversprechender …“
Zahllose Kabarettisten von Rang und Namen beteuern indes unaufhörlich ihre Bewunderung für den Puntigam’schen Stil, der die Normen gegenwärtiger Unterhaltungs-Kultur und kabarettistische Konventionen maximal als kleine Punkte unter sich wahrnimmt, die es im Vorbeiflug zu beflecken gilt.
Martin Puntigam – ein Outlaw, der nicht nur die rebellisch-romantischen Wunschträume so mancher seiner Kollegen zu verkörpern vermag. Keine noch so abstruse Phantasie, die nicht in seinem Kosmos ein aufgeräumtes Zuhause fände. Hingebungsvoll und mitreißend konsequent beleuchtet er die völlig unwitzigen Details und Randerscheinungen unserer schnelllebigen Zeit und verdichtet sie zu sinnspendenden tieferen Einsichten: „Wir sollten vor allem versuchen, Außerirdischen, die uns beobachten, nicht allzu sehr auf die Nerven zu gehen.“
Dieser geschärfte Blick für die hanebüchenen Torheiten des Zeitgeists – „Im Konsum hab‘ ich unlängst ganz normale Mausefallen entdeckt, die ‚Techno-Mausefallen‘ heißen !“ -, diese Fähigkeit, kuriosen Kleinigkeiten, die andere übersehen, Wesentliches zu entlocken, verdankt er auch seine umfangreiche Plattensammlung, die sich aus den Peinlichkeits-Perlen der jüngeren Musikgeschichte zusammensetzt. Die wertvollsten Exemplare seiner Kollektion präsentiert er als „Herr Martin“ jeden Sonntag in der Ö3-Sendung Rot-Weiß-Rotes Radio. Die derzeitigen Top 3: „Tor der Liebe“ von Lordflower, „Ein Kind und ein Erwachsener“ von Andreas Proy und „Harlekin“ von den Interpreters of Life.
Seine grenzenlose Zuneigung zu allem Unsäglichen hat ihm auch schon eine Reihe Autogrammkarten der untalentiertesten Entertainer Wiens, ein liebevoll zuammenkopiertes „Best-of-Helmi“-Video und zwei wöchentliche Fernseh-Fix-Termine eingebracht: Den „Seniorenclub“ und das „Lotto-Studio“. Zwei Sendungen, an denen er sich auch gerne beteiligt hätte – bis zu dem Moment, in dem er sich klarmachen musste, dass die Verantwortlichen ihre Produkte tatsächlich ernst nehmen.
Seine Leidenschaft für das eigentlich Schlechte und Missachtete entwickelte sich bei Martin Puntigam bereits in einer jugendlichen Trotzphase – „um mich abzugrenzen von denen, die das lustig finden, was ich überhaupt nicht lustig finde“ – und beschränkt sich mittlerweile keineswegs nur auf geistige Genüsse: „Sehr gern hab‘ ich Götterspeise.“
Weniger gern steht er auf einer Kabarett-Bühne. Der eigentliche Spaß eines Programms liegt für den gewichtigen Eigenbrötler im schöpferischen Prozess. Trotzdem schreibt er sich selbst zum Teil exzessive Entäußerungen vor, denn „die Freude auf die Verblüffung oder die Ablehnung des Publikums ist größer, als die Furcht davor, diese Dinge auf der Bühne zu tun.“
Aber, wenn es ein anderer für ihn erledigt, ist es auch gut. Im Herbst wird sein erstes Theaterstück „Tod im Hallenturnschuhlager“ – voraussichtlich mit Erhard Pauer in der Hauptrolle – im Niedermair auf die Bühne gebracht. Puntigam selbst wird nicht dabei sein, denn nichts ist ihm, der zwar als überraschend antrittsschneller Mittelfeldmotor der Falter-Mannschaft Teamgeist beweist, mehr zuwider, als kreative Gruppendynamik. Er ist überzeugter Solist, der nur seinen Bruder Stephan – derzeit Schauspieler und Regisseur in Baden-Baden – als beratende Instanz zulässt. Ab Ende Jänner unterzieht er dann sein aktuelles Programm „Puhlassen im Weltall“ wieder drei Wochen lang im Kabarett Niedermair einem Kompatibilitätstest mit dem Publikum. Es handelt sich dabei um eine – unter anderem auch das Zwerchfell – erschütternde Biographie eines extremen Außenseiters, die ein Nürnberger Rezensent mit folgenden Worten zu verreißen trachtete: „Puntigam wirkt, als wollte er den Abgesang des Kabaretts anstimmen und habe selbst dazu keine Lust gehabt.“ Eine reizvollere Empfehlung lässt sich kaum formulieren.
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