Der Duft der weiten Welt
Der Standard 09/2001
Vergangene Woche erschien Thomas Maurer sein Plan, in Kürze ein Kabarettprogramm zu präsentieren, das die Normalität unseres Daseins zum Inhalt hat, verständlicherweise als problematisch. Denn die einlullende Kraft des Alltäglichen war vorübergehend außer Betrieb. Dass sie aber im Zusammenspiel mit einem gut geölten Verdrängungsmechanismus unverändert ein bestimmender Faktor für die Wahrnehmung ist, steht außer Frage. Selbst in Bezug auf Terror und seine drohenden Folgen. Und genau diese übergeordnete Thematik ist in “stinknormal” von zentraler Bedeutung. Also hat Maurer wohlweislich nicht den Fehler begangen, das ganze Konzept in panischer Überreaktion über Bord zu werfen. Zusammen mit Regisseurin Petra Dobetsberger ist es ihm geschickt gelungen, die Geschehnisse im Verlauf des Programms, sagen wir, nicht zu ignorieren. Sie sind spürbar, werden kurz angesprochen und bleiben im Raum. Bis zum Schluss, für den Maurer die Zusammensetzung des “nach Fleischhackereimistkübel und McDonalds miachtelnden” Dufts der weiten Welt nur um den brandigen Beigeruch nach Kerosin erweitern musste, um am Puls der Zeit zu bleiben.
War er in “Unter uns” noch ein paranoider Verschwörungstheoretiker, in “Intensivdamisch” ein überreizt-erschöpftes Nervenbündel, ist er in “stinknormal” ein dem Titel Ehre machender Mitbürger ohne besondere Merkmale oder künstliche Charakterzüge: ein mit scharfem Verstand und Freude an pointierten Formulierungen ausgestatteter Wiener. Und somit eine Figur, die ihrem Schöpfer sehr nahe ist. So nahe, dass es kaum auffällt, dass er zeitweise aus der Rolle fällt und dann als Kabarettist Thomas Maurer auf der Bühne steht. Beispielsweise, wenn er die Pause ankündigt oder seine eigenen Pointen aus der Perspektive eines Kritikers als “herrlich unkorrekt” kommentiert. Maurer selbst war bislang freilich weder mit einer Kärntnerin liiert, noch hat er einen Scheidungs-Chowchow zu versorgen: “Ein schwer verhausschweinter chinesischer Suppenhund mit dem IQ einer freiheitlichen Presseaussendung”. Diese beiden Umstände hat er der Biographie seiner Figur verpasst. Als Ausgangspunkte für geistreichen Analysen und metaphorische Abschweifungen über Strategien von Ameisen, das Unheimliche an fremden Ländern am Beispiel von Kärnten, unbewußtes Riechen mit dem Jacobsonschen Organ, paradiesische Paradoxa oder politische Duftmarken: “Diese spezifische Sozi-Mischung aus Gewerkschaftskantine, Maßschneiderei und Angstschweiß.”
Mit zumeist angenehm unaufgeregter Natürlichkeit präsentiert Maurer diese seine amüsant-intelligenten Überlegungen und kombiniert sie in einem ausgefeilten inhaltlichen Bogen zu einem anspruchsvollen “stand-up”-Solo. Eine zeitgemäße Variante der klassischen Conférence.
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