Post-coole Offenherzigkeit mit Schutzfaktor
Der Standard 06/2001
Wie schön, dass Landesgrenzen gelegentlich noch als Wellenbrecher gute Dienste leisten. In Deutschland schwappt seit ein paar Jahren die Diven- und Chanson-Welle mit bedrohlicher Heftigkeit durch die Kleinkunstszene. Da wird bisweilen Bodensatz an die Oberfläche gewirbelt, frage nicht. Mit Ausnahme einiger verwehter Abschaumkronen ist uns das trübe Gebrodel aber erspart geblieben. Ist doch viel bequemer, aus sicherer Distanz gleich die Rosinen zu ernten. Womit wir schon bei “Malediva” und ihrem Programm “große kundsd” wären.
Ihr anhaltender Höhenflug hat Lo Malinke, Tetta Müller und ihren Pianisten und Komponisten Florian Ludewig nun erstmals auch nach Österreich geführt. “Wien ist andersrum” sei Dank. Im Rampenlicht stehen da zwei blass geschminkte, androgyn wirkende Gestalten, die mit-, gegen- und durcheinander über das Leben und die Liebe reden. Gespickt mit boshaften Sticheleien, ganz wie ein altes Ehepaar : “Man liebt sich nicht weniger, wenn man schon lange zusammenlebt …”, meint Lo. “Man kann sich nur weniger leiden”, unterbricht Tetta. Und dann singen sie wieder zusammen eines ihrer wundersamen, melancholischen Lieder über den “Himmel über Aldi”, den Porno-Kanal im Hotel Bangkok Plaza oder das Leben auf dem Land, wo “alle Strassen wie duftige Blumen heißen” und “die Mädchen mit 14 hinterm Festzelt im Stehen …”.
Lustig-leichte Erinnerungen enden mit brutaler Tragik, Sehnsüchte münden in Lebensfreude und Ernüchterungen folgt ein Glaubensbekenntnis an die Liebe. “Malediva” erwecken nie den Eindruck, sie wollten einem auf direktem Weg zu Herzen gehen : betapschen statt berühren. Im Gegenteil : Scheinbar ungewollt – und umso nachhaltiger – offenbaren sie ihre verletzlichen Seelen. Die Narben sind spürbar, selten sichtbar. Denn Lo und Tetta wissen sich vor den Wirrnissen und Garstigkeiten des Alltags zu schützen : mit stacheligem Sarkasmus und ironischer Komik. Zwei kleine Prinzen, die sich in der kalten Großstadt zwangsläufig die Kunst der Selbstverteidigung angeeignet haben.
Vielleicht wäre “große kundsd” an einem intimeren Spielort besser aufgehoben, als ausgerechnet in einem Zirkuszelt am Schottentor. Andererseits, genau darum geht es ja : Zärtlichkeit im Kampf gegen Moped-Geknatter, Sehnsüchte gegen Rettungs-Sirenen. Sieger bleiben “Malediva”. (pb)
- Nur noch am Samstag im “Europride”-Zelt vor der Votivkirche, Karten an der Abendkasse, 20:00.
0 comments on Post-coole Offenherzigkeit mit Schutzfaktor