Ein Cyberspace am Schwedenplatz
Der Standard 10/1998
Den Mantel hänge man bitte nicht an irgendeinen Kleiderhaken im Foyer, sondern nur an den, der mit der jeweiligen Sitzplatz-Nummer gekennzeichnet ist: “Das hat sich bei uns sehr bewährt.” Ordnung muß sein – bei 49 Sitzplätzen und Kleiderhaken.
Das “Theater am Schwedenplatz” ist ein Unikum. Eine herzlich muffige Kleinkellerbühne, dekoriert mit vergilbten Requisiten und Kostümen – und dem Charme einer vermeintlich längst vergangenen Zeit. Mit jeder Stufe taucht der Besucher tiefer in eine andere Welt. Eine rührende Welt, in der gängige Maßstäbe nichts verloren haben. Auf der Bühne erscheint die Solo-Theater-Institution Herbert Lederer – in der Rolle eines Schauspielers, der vor einer Vorstellung seinem jungen Garderober Anekdoten aus der Welt des Theaters erzählt.
“Von der heiteren Seite” heißt diese seine 59. Produktion. Und es spielt keine Rolle, daß er seinen imaginären Ansprechpartner zwischenzeitlich völlig aus den Augen verliert, um seine G‘schichtln doch lieber beim realen Publikum anzubringen. Das künstliche dramaturgische Korsett des Abends liegt bereits nach wenigen Minuten dermaßen haltlos darnieder, daß seine schwachen Lebenszeichen den frontalen Vortrag in weiterer Folge auch nicht mehr stören. Ebensowenig, daß zahllose Schlußpointen im Verlauf der ansatzlosen Abfolge von vermeintlichen Geschehnissen rund um große Namen des österreichischen Theaters der ersten Jahrhunderthälfte teilweise unerkannt verhallen. Zu subtil. Oder doch zu wenig witzig? Auch egal. Der monotone, sympathische Tonfall, das vor prallem Naturalismus berstende Bühnenbild, die vor Phantasielosigkeit strotzende Umsetzung – diese geballte Ladung verstaubter Herkömmlichkeiten wirkt bei Empfänglichen entspannend, wie eine kurze Pause der Wirklichkeit. Ein realer Cyberspace in der Kulturlandschaft. Mitten in Wien.
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