Plauderstunde mit Museumsdiener
Der Standard 04/1994
Fast schon eine geniale Tolldreistigkeit, ausgerechnet einen Museumsdiener, einen Vertreter der stummsten Zunft, als zentralen Erzähler auf die Bühne zu bitten. So etwas kann auch nur einem Karl-Ferdinand Kratzl einfallen. In seinem neuen Solo-Programm „Plauderstunde“, das gestern im Kabarett Niedermair seine Premiere erlebte, wird er allabendlich zu Anton, einem in seiner Einsamkeit verlorenen und doch glücklichen Hüter und Wächter der Kunst.
Sein Museum ist ihm nicht nur Arbeitsstätte und Berufung – „Anton, dir ist großes Glück beschieden: du wirst ein Diener der Kunst werden“ -, in ihm geht und lebt er auf : Denn auch sein ganzes Leben ist wie eine Ansammlung musealer Gefühle und Verhaltensweisen, eingefroren und festgehalten, wie in einem Fotoalbum. Ein Aquarium voll unentrinnbarer Erinnerungen, seltsam leblos und doch in all seinen Schattierungen farblich brillant.
„Ein Feuerwerk der Demut“ nennt Anton seinen Alltag, den er hauptsächlich dazu benutzt einen Haarriss im Verputz an der gegenüberliegenden Wand zu beobachten. „Erst, wenn man gesehen wird, ist man vorhanden“, erkennt er und erzählt von seinem Nachbarskind, das zu diesem Zweck einen Wohnungsbrand initiieren musste. Ihn, Anton, kann man immerhin nach der Uhrzeit fragen. Und wenn ihn gerade keiner fragt, wünscht er sich, ein fliegender Stein zu sein – der Nierenstein einer Amsel.
Kratzls phantastische Miniaturen entstammen unverändert allesamt dem konkurrenzlosesten Kuriositäten-Kabinett, das sich Kabarett nennen darf – auch wenn er, der bislang vehementeste Vertreter des Stegreif-Impromptus, erstmals seinen Text auswendig gelernt hat. So liebevoll, wie er, ziseliert niemand Ornamente in die logischen Bögen seiner in ihrer Gesamtheit surrealen Bilder, schnitzt an Brüchen und Gedankensprüngen unter konsequenter Vermeidung klassischer Pointen. Und was auf den ersten Blick wie eine Halde oberflächlicher Verwirrungen anmuten mag, entpuppt sich zu der hohen Kunst, jeden Gedanken bis zu seiner vollständigen und endgültigen Unkenntlichkeit fortzuspinnen. Die „Plauderstunde“ wird zu einem vollkommenen Netz scheinbar zielloser Stränge und roter Fäden, zu einer berauschenden Massage der Synapsenspalten, bei der das Sprechen als simple Vermeidung der Stille enttarnt wird – und das Staunen zum Inbegriff des Lebens wird.
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