Spießerspäße
Formvollendete konservative Comedy aus der eintönig betuchten Beziehungskiste
kabarett.at / 22. September 2004
“Mäuseschwarte” Uschi und “Schnuckiputz” Walter schauen gemeinsam “Wetten dass”. Symptomatischer geht’s kaum. Ihre Ehe hat einen Punkt erreicht, der so tot ist, dass jeder Reanimationsversuch von vorne herein zum Scheitern verurteilt zu sein scheint. Allein der gemeinsame Neid hält sie noch am Leben: auf die wohlhabenderen, erfolgreichen Freunde, die sich all das leisten, wovon selbst das “Double-Income-No-Kids”-Pärchen nur träumen kann. Ach, hätte Walter doch nur sein Jus-Studium beendet, statt sich mit seiner eigenen Software-Firma bösen Konjunkturschwankungen auszusetzen …
Und dann gibt es da noch etwas, was bei ihren Freunden ganz offenbar als unerschöpflicher Quell heiterer Glückseligkeit fungiert. Etwas, was Uschi und Walter sie nie haben wollten, weil es Verzicht bedeutet. Auf Geld und auf Freiheit. Außerdem macht es zuerst dick und dann Ringe unter den Augen. Ein Kind. Oder im Idealfall sogar zwei oder drei. Statussymbole eines gelungenen Lebens. Man leistet sich ja sonst auch alles.
So erliegen sie dem weit verbreiteten Trugschluss, dass es nur eines kleinen Nachwüchslings bedarf, um ihrem gemeinsamen Dasein wieder Sinn und Sinnlichkeit zu verleihen. Voll verzweifelter Vorfreude stürzen sich in den Zeugungsstress, dem nach Überwindung von allerlei Problemen schlussendlich auch Erfolg beschert ist. Aber auch in Form des angepeilten Kleinfamilienglücks ?
“Chromosomensatz XY ungelöst” (Regie: Leo Bauer) ist eine in Kapitel unterteilte Sitcom mit Musik in grundsätzlich beeindruckender Präzision und Perfektion. Abgesehen davon, dass die erste Hälfte noch die eine oder andere Kürzung vertragen würde – nicht nur, um der Bezeichnung “Hälfte” auch gerecht zu werden –, ist das Programm formal und dramaturgisch tadellos geradlinig. Eine Kette dicht durchwitzter Szenen aus dem Leben einer Ehe, die keinem der beiden Beteiligten mehr Spaß macht. Komödiantisch routiniert und – in den adäquat umgetexteten NDW-Medleys – gesanglich einwandfrei dargebracht von zwei Schauspielern, die ihr Hand- und Mundwerk beherrschen. Das Premierenpublikum dankte es ihnen mit enthusiastischem Beifall.
So weit, so gut. Und spürbar unverkrampfter, als Vieles was das einst als Quartett gestartete, später als Trio mit wechselnder weiblicher Besetzung und nun erstmals als Duo agierende Kabarett-Kombinat “Heilbutt & Rosen” in letzter Zeit auf die Bühne gebracht hat. Da hatte man sich oft des Eindrucks nicht erwehren können, dass die Programme wie nach einem Bauplan für gelungene Bühnen-Unterhaltung zusammengezimmert worden waren: Lachen nach Zahlen. Perfekt, aber leblos.
In “Chromosomensatz XY ungelöst” drängt sich dafür ein anderes Problem in den Vordergrund: inhaltliche Fadesse dank klischeeüberladener Eintönigkeit. Von der Unmöglichkeit gemeinsamer Shopping-Touren über die üblichen Probleme mit den Schwiegereltern bis hin zum zwangsläufigen Seitensprung: durchwegs gründlich abgelutschte Szenarien – damit einem nur ja keine im Hals stecken bleibt. Die typischen Mechanismen der ebenso gutbürgerlichen wie kleinkarierten Gesellschaft werden 1:1 vorgeführt und schlicht als gut geöltes Transportmittel für Pointen verwendet, ohne ihre Armseligkeit mit letzter Konsequenz zu entlarven.
Von Satire keine Spur. Einfach eine glatte Soap aus der betuchteren Beziehungskiste. Anders gesagt: Im Vergleich zu “Chromosomensatz XY ungelöst” wirkt eine Simpl-Revue wie absurdes Theater. Stromlinienförmige Abendunterhaltung ohne Ecken und Kanten, dafür mit humoristisch wirksamem Wiedererkennungseffekten für Otto Normalverbraucher mit Einfamilienhaus.
Schräge Zwischentöne und originelle Wendungen gibt’s ja im wahren Leben auch nicht, oder ? Schon gar nicht, wenn alles so geordnet und strafverschärft konventionell abläuft, wie bei Uschi und Walter. Uninteressant und unspektakulär. Kein Wunder, dass ihre Ehe an eingeschlafene Füße gemahnt. Wer sich so beharrlich auf eingefahrenen Bahnen bewegt, muss früher oder später selbst einfahren. Wie im Stück, so auch in Wirklichkeit ? Zu der Sorge besteht kein Anlass. Nicht mit einem derartig professionellen Produkt für die breite Nische eines nach harmlos prickelndem Amusement suchenden, konservativen und wohlsituierten Publikum. (pb)
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