Traumreise mit Josef Hader
Der Standard 04/1994
„Das neue Programm „Privat“ von Josef Hader ist ein minimalistisches Meisterwerk absurder Phantasie. Eine gelungene Mischung aus Ferdinand Raimund und Woody Allen. Eine überschäumende Münchhausiade voll doppelbödiger Wahrheiten“, sagt Josef Hader im Verlauf der Vorstellung selbst – fiktive Kritiken über sein jüngstes Werk zitierend. Womit er jedoch den Rezensenten nicht die Arbeit abnimmt, sind diese Kategorisierungsversuche doch nicht nur nichtssagend, sondern überdies auch noch irreführend. Schließlich geht es ja auch bei der Hader’schen Selbstkritik nicht um inhaltliches oder formales Eigenlob, sondern um die Erkenntnis, daß Zeitungsartikel bei der Suche nach sich selbst alles andere als die geeigneten Wegweiser sind. „Privat“ (Regie: Petra Dobetsberger) ist bei weitem mehr, als ein minimalistisches Meisterwerk und hat mit absurder Phantasie ebenso wenig zu tun, wie mit Münchhausens Lügengeschichten. Mit Woody Allen hat Josef Hader die Brille gemeinsam, mit Ferdinand Raimund nicht einmal den Geburtsort. Der liegt nämlich im Fall von Josef Hader in Waldhausen in Oberösterreich, wie er – chronologisch ordentlich – am Beginn von „Privat“ erzählt. Ganz allmählich schleichen sich jedoch in seinen Lebenslauf die ersten Unglaublichkeiten ein. Immer mehr hebt Josef Hader ab zu einer Kreuzfahrt in sein eigenes Unterbewusstsein, bei der die Affektlogik am Ruder zu sitzen scheint. Vernünftige Verknüpfungen sind nicht mehr gefragt. Vor der Pause ist „Privat“ eine Aneinanderreihung aberwitziger Träume, in denen Josef Hader seine Wünsche, seine Probleme, seine Schwächen und seine Ängste verschlüsselt nach außen stülpt. In der Hauptrolle turnt sein Gewissen, als Stichwortgeber fungieren seine Traumata. Unvermutet tauchen Personen und Erlebnisse, beeindruckende oder unverarbeitete Situationen und Erfahrungen halluzinationsartig aus der Vergangenheit auf. Hader zitiert Kollegen, Werbungen, Literatur, Filme – und nicht zuletzt sich selbst.
Um Wahrheit oder Lüge geht es schon lang nicht mehr, wenn er von seinen Eltern erzählt, die ihn zum Künstlerberuf zwingen mussten, von seinen Anfängen als Kabarettist, die er als Alleinunterhalter von Zahnarzt-Patienten fristen musste, von seinem Zusammentreffen mit dem Ast, der Ödön von Horvath erschlug, von seiner Reise durch die auf der Innenseite von Hundertwasser bemalten Abwasserrohre zum Mittelpunkt der Erde, wo ihm der Teufel – um ihn zu erschrecken – in der Gestalt „Staberls“ erscheint. Jede Episode, und erscheint sie auch noch so skurril, ist die fast schon ans Exhibitionistisch-Ehrliche grenzende psychodramatische Aufarbeitung einer Wahrheit. Nur bei der Auswahl der Wahrheiten übt Hader Zensur.
Nach der Pause ist der Hypnose-Trip vorbei. Nun beginnt er, bewusst nach sich zu suchen. Ist mal der abgebrühte Entertainer, dann wieder das unabgenabelte Schoßkind. Er spielt E-Piano und singt berührende Lieder über das Leben, den Alltag, den Tod. Durch die Nase steigt er in sein Ich, findet Gott und Teufel in seinem Gehirn, sucht weiter im Bauch und findet hinter der Tür mit der Aufschrift „Das einzige, wahre Ich“ ein abgelaufenes Joghurt, eine Eierschachtel und eine Wurst, auf der „wurscht“ steht. Und ? Ist er sich jetzt näher gekommen ? Keinen Zentimeter. Josef Hader ist sich schon von Anfang an so nah, wie die Haut der Wurst. Aber wer im Publikum Josef Hader kennt und vor lauter Lachen nicht das Denken vergisst, der ist Josef Hader jetzt ein beträchtliches Stück näher.
Zu guter Letzt soll nicht verabsäumt werden, ganz wertfrei darauf hinzuweisen, dass „Privat“ der beste Josef Hader ist, den es je gab. Und, dass es bis auf Weiteres keine Karten mehr gibt.
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