“… einen Sonnenuntergang aus der Nähe sehen …”
Der Standard 09/2000
Dass einer, der behauptet, als Erfinder der Meta-Mathematik an allen Universitäten Lokalverbot und in seinem letzten Leben als Stückgutfrachter das Nordmeer durchkreuzt zu haben, hierzulande kurzerhand in den gleichen Kabarett-Topf geworfen wird, wie Parodisten und Witzverteiler, mag außerirdischen Wesen dereinst Rätsel bei der Erforschung der menschlichen Kultur aufgeben. Wobei die Wahrscheinlichkeit, dass sich jemals irgendeine außerirdische Lebensform auch nur in die Nähe unseres Planeten verirrt, laut Gunkl ungefähr so groß ist, wie ”an einem 14. Mai um 17:12 Uhr in der Sahara am Südrand des Hoggar-Massivs einem Fritz zu begegnen, dessen jüngere Schwester eine Änderungsschneiderei besitzt”. Also nicht sehr groß.
Und dennoch: sollte jemand vorhaben, Gunkl demnächst mit der- oder andersartigen Unsinnigkeiten zu behelligen, wird er ihm nicht mehr “mit dem rhethorischen Faustkeil den Schädel spalten” oder – die bequemere Variante – einen Ohnmachtsanfall vortäuschen, sondern sich auf ein schlichtes “Na, geh!” beschränken. Denn Gunkl hat beschlossen, sich von seiner Vergangenheit zu verabschieden, in der nur Naturgesetze, Logik und Vernunft das Sagen hatten. Den Glauben an irgendetwas Unumstößliches oder Absolutes lässt er hinter sich. Denn nichts Genaues weiß man nicht. Und zwar über gar nichts. Eine Erkenntnis, die das Weltbild eines überzeugten Rationalisten vorübergehend gehörig ins Wanken bringt.
Im Moment der Verabschiedung – dem Freiraum zwischen dem, was vorher war, und dem, was die neue Zukunft ihm nun bringen wird – lässt er seinen grandios verkorksten Phantasien die Zügel schiessen : “In Babylusien gilt alles, was durch Elf teilbar ist, als besonders vornehm und wird wöchentlich mit dem Drüsenfett der Ruderfuß-Töle eingerieben”. Zum Beispiel. Oder er freut sich darauf, einmal einen Sonnenuntergang aus der Nähe zu sehen. Da hat sich die einst liebevoll gepflegte Gewohnheit, Gesagtes in “richtig” und “falsch” einzuteilen, schon längst in die Geschichte verzogen. Und Graubereiche ziehen herauf, in denen sich der Großteil jenes zwischenmenschlichen Alltags abspielt, mit dem Gunkl noch bis vor Kurzem nicht einmal einen Fußabtreter geteilt hätte.
Mit immensem Wissen, scharfsinnigem Witz und ehrfurchtgebietender Formulierungsfreude gelingt es Günther Paal auch in seinem neuen Soloprogramm wieder, jene zumeist als trockene Materie verabreichten, wissenschaftlichen Erkenntnisse und philosophischen Exkurse so nervenkitzelnd zu verpacken, dass sich die unerlässliche Aufmerksamkeit ganz von selbst einstellt. Und dass “Ich lass mich gehen – Ein Abschied” mehr ist als nur ein hochgradig unterhaltsames, faszinierend konstruiertes Kleinkunstwerk, zeigt sich spätestens dann, wenn es Paal sogar gelingt, aus der experimentellen Widerlegung der vielfach berichteten Grenzbereichs-Erfahrungen zwischen Leben und Tod eine ebenso schlüssige wie tröstliche Hoffnung auf eine wohlgesonnene, höhere Macht abzuleiten. Die Hoffnung beginnt, wo das Wissen aufhört.
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