”Die Realität sollte mal darüber nachdenken, warum so wenige Menschen etwas mit ihr zu tun haben wollen.”
Der Standard 09/1999
Wenn die Perspektiven zu sehr divergieren, gehen bisweilen auch gut eingespielte Paare getrennte Wege. Das Musikkabarett-Gespann “Gröll & Groebner” hat sich vor dem Sommer in seine beiden Bestandteile aufgelöst. Eine einvernehmliche Scheidung – ohne gröberen gegenseitigen Groll. Denn alles, was sich nicht fügt, ist Unfug.
Unter Umständen “Groebner Unfug” : Ein Betrunkener, der den Vollmond anbrüllt, er möge endlich das Licht ausmachen. Ein orientierungsloser Liebhaber, der mit seinem Staubsaugetier Gassi geht. Ein Fernseh-Meteorologe, dem das Geimpfte gehörig aufgeht. Ein konsequenter Menschenfeind, der sich – von folgerichtiger Selbstverachtung zerfressen – in die niederschmetterndste aller Schlußfolgerung flüchtet: “Ich bin mir wurscht”.
Zwischen diesen gespielten Grotesken stimmt Severin Groebner in seinem Solo-Kabarett-Debut (Regie: Dieter Boyer) Lieder und Sprechgesänge an, in denen er das Bühnengeschehen indirekt kommentiert oder pointiert abstrahiert. Seine Geschwindigkeit dabei ist eine generell gemächliche. Unspektakulär und unaufdringlich durchpflügt er sein Feld der vergnüglich-philosophischen Unfüglichkeiten. Zuviel Rasanz erzeugt Oberflächlichkeit. Die mag zwar vordergründig lustiger sein, aber lustig ist bald wer. Groebner hingegen ist auf hohem Niveau amüsant. Und dabei alles andere als abgehoben oder kompliziert. Denn es sind zumeist die einfachen Einfälle, die er zu effektvollen Erstaunlichkeiten verschraubt, verdichtet, verwirrt und verspinnt.
Eine Qualität, die er bereits seit Anfang März in der Penzinger ”Sargfabrik” regelmäßig unter Beweis stellt. An jedem Monatsersten liest er dort aus seinem ”Elektronischen Tagebuch” : geistreiche Gedankensplitter, kuriose Kurzgeschichten, musikalisch unterstützt von den Elektronik-Grooves zweier Sound-Bastler und optisch untermalt von leuchtstarken Dia-Projektionen. Wenn man so will, eine zeitgemäße Form des literarischen Kabaretts – und zweistündige Pausen der Wirklichkeit : ”Ich finde die Realität sollte mal darüber nachdenken, warum so wenige Menschen etwas mit ihr zu tun haben wollen”, sagt Severin Groebner, drückt sich Daumen und Zeigefinger in die kleinen Höhlungen zwischen Augen und Nasenwurzel – und genießt die bunten Spiralen und spacigen Muster, die auf seiner Netzhaut entstehen.
Die im Kabarett-Geschäft zunehmend geforderte Mehrheitsfähigkeit ist für den fast 30-jährigen Wiener, der – ohne vermessene Vergleiche nahelegen zu wollen – im Döblinger ”Helmut-Qualtinger-Hof” aufwuchs, auch bei seinem Solo-Debut kein Kriterium. Daß Zuschauer über sein bis in groteske Grenzbereiche grimassierfähiges Gesicht, seine schlaksige Statur und seine entsprechend exzentrische Gesamterscheinung lachen können, liegt längst unter ”erledigt”. Die Loslösung von seinem langjährigen Kabarett-Kollegen Klaus Gröll ermöglicht es ihm, versäumte oder nur gebremst vollführte Entwicklungsschritte nachzuholen. Würde er bei diesem Sprung auch noch auf das Publikum schielen, wäre das Straucheln wohl inbegriffen. Sein Bestreben, vermeintliche Diskrepanzen und Dissonanzen in künstlerischen Einklang zu bringen, birgt schon genug Stolpersteine. Im Radio aus Comics vorlesen – so etwas entspricht seinem Sinn für Humor. ”Ich esse auch gerne saure Gurkerln mit süss-fetter Majonnaise.”
Zum Schluß singt Severin Groebner die komplette “Bohemian Rhapsody” von Queen. 260 Tonspuren mit nur einer Stimme. Ganz grober Unfug, aber große Klasse. (pb)
(”Groebner Unfug” : ab 7.10. im Kabarett Niedermair, 8. Lenaug. 1a, Tel. 408 44 92)
0 comments on ”Die Realität sollte mal darüber nachdenken, warum so wenige Menschen etwas mit ihr zu tun haben wollen.”