Die Echte Allgemeine Verunsicherung
Der Standard 01/1997
Er zerschmettert Zitrusfrüchte, daß die Fetzen bis in die zehnte Reihe fliegen, er droht mit Mord und Selbstmord, fackelt mit Benzin und verzehrt vermeintliche Exkremente. Leo Bassi treibt ein böses Spiel nach dem anderen. Er bricht Tabus, wie Andere gute Vorsätze, und jongliert mit acht Basketbällen ebenso virtuos, wie mit den Schwächen und Ängsten seines Publikums. Quälend langsam geht er durchs Publikum, um sich die Opfer für seine Obszö-nitäten zu suchen. Ein spannendes und zutiefst demokratisches Prinzip, wie er meint : Im End-effekt seien immer 99% der Zuschauer mit seiner Wahl einverstanden.
Leo Bassi, der im Rahmen der „Wiener Wo-chen des schlechten Geschmacks“ im „Orphe-um“ – „on the wrong side of the Danube“, wie er nicht müde wird zu betonen – gastiert, ist ein archaischer Clown und anarchischer Aktionist. Und ein Vorkämpfer der Wiedereinführung von Lebensgefahr im künstlerischen Kontext. Nicht umsonst seien seinerzeit die Shows im Colosseum so gut besucht gewesen. Selbst eine profane Performance, wie der vergebliche Ver-such, einen Gummi-Gartenzwerg zu zerhäm-mern, wird bei ihm zu einer Parabel auf die Fol-genlosigkeit des politischen Kabaretts: Der Zwerg ist die Mittelklasse, der Hammer die Ironie.
Sein erklärtes Ziel aber ist es, zu verunsichern. Und das gelingt dem knapp 50-jährigen Italie-ner, der u.a. bereits 1991 die Auszeichnung „Broadway Entertainer of the Year“ zuerkannt bekam, auf exzeptionelle und zweifache Weise: Die Gewißheit, daß doch die heimischen Ord-nungshüter nichts zulassen würden, was tatsäch-lich Gefahr für Leib oder Leben darstellen könnte, wird spätestens dann in ihren Grundfe-sten erschüttert, wenn Bassi glaubhaft versi-chert, heute sei ein ganz besonderer Abend – und Bühne und Zuschauerraum mit Benzin tränkt. Die viel größere Verunsicherung aber nimmt jeder am Ende des Abends mit nach hause : Mit der Erkenntnis, dem Psycho-Co-median Leo Bassi phasenweise ohnmächtg und hilflos ausgeliefert gewesen und von ihm mit spielerischer Leichtigkeit auf das eine oder an-dere Glatteis geführt worden zu sein. Schlech-ter Geschmack ? Ach was : „If yo want to see real bad taste, go to Holiday on Ice !“ (pb)
Nur noch bis Freitag: Orpheum, 22., Steigenteschg 94 b, Tel. 481 17 17
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