Winnetou spielt Violine
Der Standard 11/1994
Die Figur des Winnetou, jenes Idols zweier Generationen, verkörperte er erst in einem Alter, in dem jeder anständige Apachen-Häuptling schon längst ins Gras der ewigen Jagdgründe gebissen hätte. Doch zum Vorstands-Mitglied des Alten-Rats ließ Karl May seinen wortkargen Tugendsohn nie avancieren. Für Pierre Brice bedeutete das – spät aber doch – das unerbittliche Ende seiner Cowboy und Indianer Karriere. Seitdem verteilt er seinen französischen Accent in homöopathischen Dosen statt in Silberbüchsen in Gast- und Nebenrollen für Film und Fern-sehen.
Eine geballte Ladung Pierre Brice gibt es allerdings derzeit im Wiener Akzent-Theater, wo er als Bearbeiter, Regisseur und Hauptdarsteller der Forlani-Komödie „Eine schöne Überraschung“ – aus dem Hause Schmunzel & Grübel – zu erleben ist. In der Figur des Johann Sebastian Perrot spielt er einen alternden Charmeur und Gelegenheits-Violinisten, dem das plötzliche Auftauchen seines Enkels zum Startsignal für einen neuen Lebensabschnitt wird. Eine umständehalber verhängnisvolle Rolle, in der Brice in den Momenten, in denen er selbst Tragik ausstrahlen sollte – wie bei der Verabschiedung der langjährigen Lebensgefährtin -, mit lautstarker Publikums-Unterstützung in die unfreiwillige Parodie verfällt. Ein Indianer kennt eben keinen Schmerz. Noch einmal bricht der Apache in ihm durch, gerät das Blut des edlen Häuptlings in Wallung und veranlasst Perrot zu einem deplatzierten politischen 08/15 Statement über Sarajewo und Ruanda, das das Publikum artig mit Szenenapplaus quittiert. Doch statt nun endlich das Kriegsbeil auszugraben muss er weiter süßholzraspelnd erste Geige spielen. Und das umgeben von einem herzigen Enkerl (talentiert : Lars Gabler) und drei Frauen, die zumindest von dem ihrem Rezensenten zugedachten Platz am Juchhe – vorrangig langbeinig und blond sind – und schon im Beipacktext mit den wenig schmeichelhaften Begriff „Damenflor“ zusammengefasst werden.
Fazit : Ein Franzose, der als Indianer mehr überzeugt, als als charmanter Lebenskünstler. Quel miracle.
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