Franchise-Zeigefinger
Der Standard 07/2000
„Eine Therapie, bei der nicht gelacht wird, ist mir suspekt“, sagt Bernhard Ludwig, der in konsequenter Ausübung seiner Überzeugungen vor sieben Jahren vom Verhaltenstherapeuten zum Seminar-Kabarettisten reifte. Hatte er bis dahin seine pointiert-provokativen Vorträge zu den Themenbereichen Übergewicht und Herzinfarkt vorwiegend als prophylaktische Fortbildungskurse an Führungskräfte und andere Risiko-Gruppen verkauft, eröffnete ihm der Schritt auf die Kleinkunstbühnen ein sehr viel breiter gefächertes und nahezu unerschöpfliches Patientenfeld. Vor allem mit seinem jüngsten Programm „Anleitung zur sexuellen Unzufriedenheit“ und seinem vierstündigen „Best-of“ ist er seit Jahren nicht nur ein Garant für ausverkaufte Kabarettlokale sondern auch ein gern geladener Gast zu Ärzte-Kongressen im In- und Ausland. „Wenn ein Sänger auch Bilder malt, dann sagen die Leute, der gehört entweder mehr zu den Malern oder mehr zu den Sängern. Bei mir ist das so, dass die Kabarettisten und die Psychotherapeuten sagen : Du gehörst zu uns. Ich werde von beiden Seiten voll akzeptiert. Das ist mir gelungen – und das ist geil.“
Dem 52-jährigen Vater von vier Töchtern, der nach Ansicht von Leo Lukas (Kabarettist und Kinderbuch-Autor : „Jörgi, der Drachentöter“) „den im Kabarett verpönten Zeigefinger wieder salonfähig gemacht hat“, wurde erst unlängst die Wirksamkeit seiner unterhaltsamen Großgruppen-Kurzzeittherapien wissenschaftlich bestätigt : Eine von 20 schweizer Medizinern durchgeführte Studie – „Präventive Intervention durch Seminar-Kabarett ?“ – attestiert Ludwig, seine Programme seien ein „erfolgreiches und zukunftsversprechendes Projekt“, dessen „größtes Potential im Bereich der Sensibilisierung und Mobilisierung“ liege.
Die große Nachfrage nach seinen interaktiven Programmen – „Therapeutische Einstiegsdrogen !“ – veranlasste Bernhard Ludwig vergangenes Jahr dazu, Mittel und Wege zu suchen, seinen kabarettistischen Kreuzzug wider die allgemeine Verklemmtheit und den taschenausbeulenden Selbstbetrug auch ohne persönliche Anwesenheitspflicht voranzutreiben. Erster Schritt : ein interaktiver Kinofilm. „Das klingt eigentlich wie ein Widerspruch in sich, aber das schön Skurrile an der Geschichte ist, dass der Film funktioniert, als wäre es live.“ Denn was auf den ersten Blick wie die simple Aufzeichnung seines Sexfrust-Programms daherkommt, entpuppt sich als ein – dank ausgeklügelter akustischer Täuschungen – raffiniertes Spiel mit dem Publikum : „Das Geheimnis ist, dass durch die Aufnahmetechnik 150 Gespenster im Saal sitzen. Das hat so noch niemand gemacht. 25% der Handlung spielt gewissermaßen im Saal. Das ist das Geile an der Geschichte.“ (dzt. zu sehen in Linz, Salzburg und Innsbruck). Auch auf dem Merchandising-Sektor hat Ludwig, dessen Programme selbstredend auf Video & CD erhältlich sind, mit eigenen Armband-Uhr-Kreationen Hochpreis-Neuland erschlossen.
Für Aufsehen in der Kabarettszene sorgt nun sein neuester Vorstoß: Er vergibt seine Programme in einer Art Franchise-System an andere Vortragende. Interessenten dafür haben sich bereits in England, Holland und Deutschland gemeldet. Doch vorerst will Ludwig das von so manchen Kabarett-Kollegen mit Kopfschütteln quittierte Experiment im eigenen Land überwachen: Ab Herbst wird Genre-Altmeister I Stangl die „Anleitung zur sexuellen Unzufriedenheit“ allwöchentlich im Kabarett Niedermair zum Besten geben.
„Ich will meine Programme von meiner Person trennen“, erklärt Ludwig diesen Schritt, „Mein Vorbild ist ja kein Kabarettist, sondern Dale Carnegie, der gewissermaßen auch 50 Jahre nach seinem Tod noch Bestseller schreibt oder seine Seminare führt. Ich möchte eine Firma haben, die mein Werk auch in Zukunft weiter vermarktet“
Um seinen Lebensplan zu realisieren, konzentriert er sich bereits ganz auf seinen nächsten Coup – den Sprung in die USA : „Ich mache jetzt einen Englisch-Crash-Kurs und spiel das Programm dann einmal im Monat auf Englisch, one-to-one gecoacht von der Berlitz-School. Mein Ziel ist es, im Jahr 2001 am Broadway oder in Las Vegas aufzutreten.“ Oder passenderweise vielleicht in der Carnegie-Hall.
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