Hilferufe mit Fernsehballett
“Be afraid, honey … it‘s fm4 !”: Die geheimen Anstalts-Tagebücher von Stermann und Grissemann.
kabarett.at / 30. November 2004
“24. Februar 2004 : Seit langem, liebes Tagebuch, schreibe ich unter den Fantasienamen Peter Blau, Wolfgang Kralicek und Alexandra Seibel Kabarettkritiken in diversen Gazetten. Ich vernichte Kollegen und preise mich selbst. Diese Lügenspirale gipfelte in dem Höhepunkt, dass ich mir selbst vor zwei Jahren den Salzburger Stier verliehen habe.”
Christoph Grissemann, Tagebuch
Die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit. Die schonungslose Enthüllung all dessen, was sich hinter der coolen Fassade des vermeintlich so jugendlich-alternativen Senders FM4 tagtäglich abspielt. So lautet der Auftrag, den Dirk Stermann und Christoph Grissemann in ihrer täglichen Radio-Kolumne “Die geheimen Anstalts-Tagebücher” seit über einem Jahr zur Erheiterung ihrer Hörer erfüllen. Anlässlich der Veröffentlichung dieser erschütternden Chronik mit dem leicht veränderten Sendeslogan “be afraid honey, it’s … fm4” als Titel (erschienen in der “edition selene”, www.selene.at), luden die beiden langjährigen Betreiber des “Salon Helga” am Montag zu einer Lesung in den “Rabenhof”, dessen Bühne zu diesem Zweck stilsicher mit jeder Menge vormals alkoholhaltiger Flaschen und Dosen dekoriert wurde.
Es muss schon ein ganz besonderer Sender sein, der sich so viele abenteuerliche Untergriffe und absurde Verleumdungen für ein paar morgendliche Lacher gefallen lässt. Die FM4-Nachrichten sind “eine Mischung aus Altpapier und Vermutungen”, die Mitarbeiter allesamt nach Alkohol und Haschisch riechende Faulpelze, die höchstens bei den regelmäßigen Sexual-Exzessen Kreativität an den Tag legen, die Chefin eine jeglicher Bodenhaftung verlustig gegangene Despotin, der Sender selbst eine völlig heruntergekommene und von Ungeziefer befallene Bruchbude und Chef-Controller Martin Blumenau – das Lieblingsopfer der beiden Aufdecker – ein komplett Irrer, der seine Kollegen schikaniert und tyrannisiert, wo er nur kann. Die Verzweiflung über all diese Zustände quillt Stermann und Grissemann aus jeder Pore.
Mindestens ebenso böse und respektlos, wie sie ihrem Arbeitgeber und der Kollegenschaft zuleibe rücken, nehmen sie sich aber auch gegenseitig auf die Schaufel. Verhöhnungen sind der wesentlichste Bestandteil ihrer spontanen Kommunikation. Und ihre Lieblingsbeschäftigung ist das genüssliche Breittreten körperlicher und geistiger Unzulänglichkeiten des jeweils anderen und die öffentliche Zurschaustellung intimer, hochnotpeinlicher Details aus dessen Privatleben. Und wenn der “Klopapier-Werbesprecher aus Duisburg” gerade keine Erwiderung parat hat, setzt Grissemann nach : “Du brauchst jetzt nichts zu sagen, Deutscher. Keiner erwartet Schlagfertigkeit von dir.”
Die meisten ihrer satirischen Tagebuch-Eintragungen sind ja erstaunlicherweise anfänglich gar nicht so weit von der Wahrheit entfernt. Aber in nur wenigen Sätzen schwingen sie sich regelmäßig zu monströsen Übertreibungen, atemberaubend grotesken Gemeinheiten und höchst phantasievollen Demütigungen auf. Eine auf aberwitzige Spitzen getriebene Form der Selbstironie.
“Was nur selten passiert, ist lustig”, hat – um einen hier völlig unpassenden Namen zu nennen – Alf Poier einst auf die Frage geantwortet, was er persönlich witzig findet. Über Kollegen gnadenlos herziehen – das macht man nicht! Stermann und Grissemann schon. Und dieser mit Konsequenz betriebene Tabubruch ist einer der Faktoren, die den hohen Unterhaltungswert dieser kuriosen Kurz-Essays bewirken. Damit sich die Hörer nicht an den Effekt gewöhnen, gibt es sie im Radio nur in kleinen Dosen – und auf der Bühne immer wieder unterbrochen von den aus “Salon Helga” bekannten fake-phones: Grissemann preist diversen Verlagen sein 10.000 Gedichte umfassendes lyrisches Werk über Waldbewohner an, Stermann versucht Auftritte für seinen Flamingo zu keilen, der Songs von Britney Spears singen kann. Und zur Abwechslung gibt es zwischendurch die grandiosen Tagebuch-Einträge von Hans Krankl – stilistisch angelehnt an sein in voller Länge eingespieltes, sagenhaftes Interview nach dem 3:3 gegen Nord-Irland. Und das ist dann der einzige Punkt, wo sich Stermann eine Peinlichkeit erspart: Im Radio hatte er seinerzeit noch einen dieser in tiefstem Wienerisch verfassten Texte selbst vorgetragen. Auf der Bühne überlässt das der Rheinländer lieber seinem Tiroler Kollegen, der des Krankl’schen Dialekts etwas mächtiger ist.
Den unfreiwillig komischen, krönenden Abschluss des Abends bildete im “Rabenhof” eine beeindruckende Fernseh-Ballett-Einlage: Die beiden Künstler wurden während und nach des Applauses minutenlang von zwei Kameramännern (ZiB3, ATV+) mit elegantem Schwung umtänzelt und umschwärmt, als hätten Ster- und Grissemann den zuvor erwähnten Beckham-Lookalike-Wettbewerb nur deshalb nicht gewonnen, weil sie beide in Wahrheit selbst Beckham sind. Schade, dass die “Seitenblicke” nicht mit von der Partie waren.
0 comments on Hilferufe mit Fernsehballett